Pforzheims’s Vorzeit.
Für Pforzheim und seine Umgebungen.

Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand;
Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor Allen dir gewogen! Wieland.

Nro. 3. Samstag den 17. Januar. 1835.

Pforzheim am Schlusse des 17ten Jahrhunderts.

2. Vom ersten bis zum zweiten Brande. 11. (21.) Januar. 5. (15.) August 1689.
(Fortsetzung.)

Kehren wir zur Geschichte der Stadt zurück. Eine allgemeine Plünderung und ein zweiter Brand machte das Maaß der Leiden voll. Den 5. (15.) August, an dem Tage, an welchem sie abzogen, sperrten die Franzosen alle Thore der Stadt; unter alle Brücken und Thore, in alle vorzüglicheren Gebäude, das Schloß, das Rathhaus, die Stadtschreiberei, (die aber nicht ganz abbrannte) ec. ec. wurde Feuer eingelegt. Abends desselbigen Tages loderte die Stadt an vielen Orten zugleich in Flammen auf. Die auswandernden Durlacher sahen auf ihrem Zuge nach Langensteinbach auf einer Höhe im Walde bei Grünwettersbach die gräßlichen Flammen des Brandes der hiesigen Stadt.

Noch wissen gar Viele von den Drangsalen zu erzählen, die ihre Vorältern damals ausgestanden. Die Familien, welche noch hatten entfliehen können, suchten ihre Zuflucht im Hagenschieß. Dort schlugen sie ein Lager auf, und befestigten es durch Verhaue. (Die Vorfahren mehrerer hiesigen Familien wurden dort geboren). Oefters versuchten einzelne Streifcorps sich dieses Lagers zu bemächtigen, aber die Plünderungslust derselben scheiterte an dem Muthe der Verzweiflung; die im Hagenschieß verschanzten Bürger kämpften, nachdem der Brand sie alles Vermögens entblößt hatte, um das Letzte. In der Stadt selbst hatten viele Bürger, um dem Feuer zu entgehen, sich in die Keller verborgen, weil Niemand die Stadt verlassen konnte; dasselbe hatten auch manche noch vor der Anzündung der Stadt gethan, um nicht als Geißeln fortgeführt zu werden. So auch der Superintendent Matthäus Kummer. Indessen wurde die Stadt angezündet und auch das Haus, in dessen Keller sich derselbe nebst dem Diaconus Fleischmann verborgen hatte, brannte nieder. Sei wären beide umgekommen, wenn nicht ihr angestrengter Hülferuf von einigen Vorübergehenden vernommen worden wäre. Es würde zu weit führen, auch nur einige der vielen noch im Munde der hiesigen Familien lebenden Erzählungen von den Drangsalen Einzelner in jener Zeit mitzutheilen, wie mancher sein Haus gegen die Kugeln, gegen den Brand, seine beste Habe gegen die Plünderung, seine Kinder aus den Flammen rettete. Nur das darf nicht unerwähnt bleiben, daß die hiesigen Bürger durch ihren aufopfernden Muth einen ziemlichen Theil der Stadt noch retteten. Mit Lebensgefahr drangen sie durch die französischen Wachen, und es gelang ihnen, an mehreren Orten das unterlegte Pulver wegzubringen. Welcher Theil der Stadt dadurch gerettet wurde, wird später gesagt werden.


Schlußbetrachtung für diesen Abschnitt.

Bei einem auch nur einigermaßen aufmerksamen Lesen dieser, so wie ähnlicher Begebenheiten jener Zeit wird sich Mancher des Gedankens nicht erwehren können, wie es kam, daß so viele kleinere wie größere Städte von den französischen Truppen zerstört werden konnten, ohne daß diese Truppen auf andere Hindernisse stießen, als welche ihnen hie und da, wenn freilich meist fruchtlos, der Muth der Bürger entgegenstellte. Wir haben das Beispiel von Pforzheim vor uns. Statt Hülfe zu senden, konnte der Markgraf nichts anderes thun, als den Bürgern oder Garnisonen seiner Städte trostlose Schreiben schicken und ihnen zur Unterhandlung mit dem Feinde rathen. Und doch liest man ja in den Büchern, daß Teutschland damals einen Kaiser hatte; sind doch so oft und viel in großen Folianten die ausserordentlichen Feierlichkeiten einer Kaiserkrönung mit all ihrem Prunk beschrieben. Warum half denn der Kaiser nicht?

Ein Blick auf den damaligen Zustand des weiland heiligen römischen Reiches teutscher Nation belehrt uns hinlänglich darüber. Dem hatte, schon 158 Jahre vor seinem völligen Untergange, der westphälische Friede 1648 unheilbare Wunden beigebracht, durch die — freilich zwar schon lange bestehende — nun aber förmlich anerkannte Souverainität der Fürsten, und die von da an nicht mehr aufhörenden Einmischungen fremder Mächte, die durch die Zerrissenheit des teutschen Reiches leicht, ja verführerisch gemacht wurden. Die souverainen Reichsfürsten, Reichsgrafen, Reichsbaronen und Reichsstädte suchten, da Souverainitätsrechte nur durch imponirende Macht geltend gemacht werden können, sich diese zu erwerben, ohne an das allgemeine Interesse zu denken. So nahm von Jahr zu Jahr die Kraftlosigkeit der Regierung, nahmen die innern Zerrüttungen zu. Die Anzeichen des völligen Verschwindens jeder wahrhaft vaterländischen Gesinnung in dem engherzigen Streben nur nach persönlichem Vortheil wurden immer häufiger, und verkündeten den Untergang des Reiches, dann alle Fugen des morschen Staatsgebäudes waren bereits gelöst. Das einzige Rettungsmittel war festes Zusammenhalten, aber die Wünsche und Bestrebungen der einzelnen teutschen Fürsten nach immer größerer Macht standen in grellem Widerspruche mit den Maaßregeln eines kräftigen Reichsoberhauptes.

Kein Zeitabschnitt zeigte dies deutlicher, als am Schlusse des 17ten Jahrhunderts die Kriege mit Frankreich.

Um das wieder zu ersetzen, was ihm durch den Aachner Frieden 1668 entrissen worden war, ersann Ludwig XIV. von Frankreich einen Plan, der an Schamlosigkeit alle ähnlichen Versuche übertraf, und das Obengesagte ins hellste Licht stellte, — seine Reunionskammern, wo jeder teutsche Fürst, dessen Besitzungen an Frankreich grenzten, sich über die Rechtmäßigkeit seiner Besitzungen ausweisen sollte. Alles erschrack, denn mit solchem Hohne war das teutsche Reich noch nie behandelt worden; aber es blieb beim bloßen Schrecken. Ohne Schwertstreich fiel mitten im Frieden Straßburg in französische Gewalt; keine Hand rührte sich, um Ludwig für diese Verletzung alles Völkerrechts zu züchtigen. An gemeinschaftliche Maaßregeln gegen ihn war nicht zu denken; jeder Fürst suchte nur seine eigenen Grenzen zu decken, unbekümmert um das, was in dem benachbarten Lande geschah, so lange es ihn selbst nicht unmittelbar betraf. (So sahen die um Hagenschieß liegenden würtembergischen Grenztruppen ruhig der Erstürmung Pforzheim‘s zu). Der Kaiser war zu schwach, um die Fürsten zu einem gemeinsamen Unternehmen gegen Frankreich zu bewegen, und seine eigene Hausmacht war in Ungarn gegen die Türken beschäftigt; und unter den Fürsten war das Mißtrauen so groß, daß der Kurfürst von Brandenburg aus Furcht, von den andern verlassen zu werden, einen Separatfrieden mit Frankreich schloß.

König Ludwig, der auf solche Weise die Schwäche der teutschen Reichsverfassung hatte kennen gelernt, konnte es nun auch wagen, mit seinen Ansprüchen auf die Pfalz hervorzutreten. Dort war Kurfürst Carl II. 1685 ohne Nachkommen gestorben, und hatte in seinem Testamente seine Schwester Elisabeth, die Gemahlin Philipps von Orleans, Bruders von König Ludwig, zur Erbin seines Eigenthums (nämlich seines Privatvermögens) eingesetzt. Auf dieses Testament bauend, sprach Ludwig einen bedeutenden Theil der Kurländer und Sitz und Stimme auf dem Reichstage im Namen seines Bruders an. Dazu kamen noch anderweitige Ursachen, und Ludwig eröffnete plötzlich den Krieg durch jene barbarische Verheerung der Rheinländer.

Nicht bloß die Pfalz, als das streitige Land, auch die umliegenden Länder wurden auf bestimmten Befehl des Königs verheert, weil das teutsche Reich ihm den Krieg erklärt hatte, in der offen ausgesprochenen Absicht, seinen Feinden den Angriff zu erschweren und die Winterquartiere unmöglich zu machen. Aber auch hier wurde, so wenig wie in frühern Zeiten, aus den angeführten Gründen etwas zur Abwehr gethan; der einzelne kleinere Fürst vermochte nichts auszurichten; jedes Land, jede Stadt blieb sich selbst überlassen, und so sank ungerächt eine blühende Stadt nach der andern in Schutt und Asche.

(Schluß der ersten Abtheilung.)
Fortsetzung


Die Hochzeit zu Tübingen.

Eine historische Skizze.
Der Uebel größtes ist die Schuld.
Schiller

(Fortsetzung.)

Da schwollen die Adern auf des Vaihingers Stirne, und sein glühendes Gesicht färbte sich blau vor Wuth, er sprang mit einem fürchterlichen Fluche von seinem Sitze auf: Du wagst es, Bube, einem Ritter wegen einer fremden verlaufenen Dirne die Ehre zu rauben? Beide zogen augenblicklich die Schwerter, ein kurzes Gefecht entstand, in welchem Konrad eine leichte Wunde erhielt.

Sie haben den Burgfrieden gebrochen, reißt sie auseinander, schrie der alte Pfalzgraf; sogleich wurden beide von einander getrennt. Der Vaihinger rieß Belrem, der noch immer in todtähnlichem Zustande da saß, mit sich zum Saale hinaus und beide verließen sogleich mit ihrem Gefolge das Schloß.

Die Freude der Gäste war durch diesen Auftritt gewaltsam unterbrochen worden, und es dauerte geraume Zeit bis die Erinnerung an die störende Begebenheit einigermaßen verwischt war. Die Frauen zogen sich gegen Abend in ihre Gemächer zurück, oder verließen das Schloß. Aber die Ritter zechten noch bis zum folgenden Morgen unter Gesang und Musik. Volbert und Zuleima wollten, von einem einzigen Knappen begleitet, noch vor Mitternacht das Schloß verlassen.

Es war eine sternenhelle Sommernacht. In dem schönen Thale bei Tübingen, das von einem kleinen Fluße den Namen Ammerthal führt, sah man zwei Reuter auf fliegenden Rossen dahineilen. Es waren Belrem und Konrad, der Währwolf. Sie hatten ihr Gefolge heimgeschickt, gleichsam, als ob sie eine That vollbringen wollten, bei der kein Zeuge dürfte anwesend seyn. Beide waren durch Trunk und Wuth bis zum Wahnsinne außer sich. Das ganze Thal war still, nur hörte man bisweilen die fröhlichen Stimmen im Schloße zu Tübingen, dessen Fenster man durch die Nacht schimmern sah; oder das Glöcklein in der Kapelle, die von einem schönen Berge in der Nähe herabschaut. Sie aber vernahmen ihn nicht, den Klang, der die Gemüther zur Andacht ruft, fürchterliche Gedanken wälzten sie in ihrer Brust. — Bald war das weite Thal hinter ihnen, als sie still hielten und abstiegen. Am Abhange eines Hügels, nicht weit von der Straße lagerten sie sich. Es war eine Todtenstille. Die Mitternacht rückte immer näher heran. Endlich unterbrach der Vaihinger das Stillschweigen.

Die Geschichte mit der Dirne scheint mir sonderbar, wie traft Ihr im Morgenlande mit dem Mädchen zusammen? Da erfaßte Belrem eine entsetzliche Wuth, er ballte die Fäuste und hob sie gen Himmel empor, als ob er diesem fluchen wollte.

Die Geschichte ist kurz, sprach er mit verbissenem Ingrimm, und begann nach einer Weile, wie es ihm seine trunkene Wuth erlaubte, in abgebrochenen Sätzen zu erzählen:

"Wir lagen vor Jerusalem, der Kaiser wollte den Sultan zu einem Waffenstillstande zwingen. Der Poltringer und ich waren viel beisammen, ich kannte ihn von Jugend auf; bei der Hölle, ich habe ihn geliebt wie meinen Bruder! Er erzählte mir einst, eine Heidin sey gefangen worden, und kaum hätte er es vermocht, sie vor Mißhandlungen zu schützen, ihr Vater und ihre Brüder seyen in den Gefechte gefallen, und sie habe nichts von ihm gebeten, als den Tod. Unversehrt habe er sie wieder zurückgeschickt, nachdem er ihr die Rose, welche er auf seinem Helme getragen, zurückgelassen.

"Es war Mitternacht, fuhr Belrem fort, und ich hielt am äußersten Platze des Lagers allein Wache. Der Mondschein zeigte mir eine weibliche Gestalt, die sich auf mich zu bewegte. Plötzlich stand sie vor mir."

Hier hielt Belrem inne, als ob ein Schauer ihn durchrießelte.

"Sie war es, die Ihr gesehen. Mein Athem wollte stocken und mir schwindelte sehr. Sie redete mich an, ich verstand nicht ihre Sprache. Da zeigte sie mir eine Rose, es war des Poltringers Abzeichen. Nun verstand ich sie, sie wollte ihn sprechen. Aber ich konnte diesen Gedanken nicht ertragen."

"Du sollst mein werden, schwur ich, und wenn es mich mein Leben kosten sollte."

"Ich täuschte sie und führte sie zu einer Jüdin, die sie bewachte. Sie weinte viel, die Elende, meine rasende Liebe rührte sie nicht. Ich bat, ich fluche, weinte und drohte; umsonst! Ich marterte sie und betete sie wieder an, sie haßte mich. Tod und Verderben! Eines Morgens war sie verschwunden. Sie hatte die Jüdin überwältigt und war geraden Weges in des Kaisers Zelt geflohen, mich anzuklagen. Volbert verwundete mich stark. — Die Erzählung ist zu Ende. Ich gab der Jüdin nebst meinem Gelde noch einen geheimen Auftrag, und ergriff, trotz meiner Wunde die Flucht. Ehe ich das Schiff bestieg, erfuhr ich, daß das Gift seine Wirkung gethan habe. Ein finst’rer Geist verfolgte mich, ich trauerte um die Beiden — und heute sah ich sie lebendig! —"

"Helfe mir der Böse, ich mag nimmer leben nach dieser Schmach! Aber Rache will ich nehmen. Sie müssen sterben! "Ein Fluch besiegelte das furchtbare Wort. "Und ich habe auch eine Schuld abzutragen, schrie der Vaihinger, und will’s getreulich vergelten! Sie können nicht mehr lange ausbleiben, um Mitternacht wollen sie das Schloß verlassen."

Unterdessen hatte sich eine düstere schwarze Wolke vom Gebirge herüber in das Thal gezogen und hatte den ganzen Himmel umhüllt. In der Ferne hörte man schon den Donner rollen. Ein kleiner Luftzug, der Vorbote der Gewitter, hatte das Thal durchweht, das immer dunkler und nächtiger wurde, wie die Thäler der Unterwelt. Man vernahm schon starke Donnerschläge. Belrem und Konrad näherten sich der Straße, gleich dem Tiger, der seiner Beute auf der Spur ist. In beiden hatte der Wein noch sichtbare Spuren der Trunkenheit zurückgelassen. Horch, rief Belrem, ich höre Hufschlag. "Hörst du seine Stimme, er schmeichelt der Dirne," flüsterte der Währwolf tückisch. Der Donner rollte immer fürchterlicher. Ein Blitzstrahl fiel auf die gezogenen Schwerter. Halt, Schurke, schrie der Vaihinger, und beide stürzten aus ihrem Hinterhalte hervor. Furchtbarer Donner übertäubte das wüthende Gefecht, ein zermalmender Blitz und ein furchtbarer Schlag folgten. Es war tiefe Stille. — Die Ritter waren verschwunden.

Das Erwachen des zum Tode verurtheilten Verbrechers am letzten Morgen kann nicht gräßlicher seyn, als das Erwachen Belrems nach der fürchterlichen Nacht. Entsetzliche Träume hatten ihn, als er schlief, gefoltert, jetzt marterten ihn die furchtbarsten Gewissensbisse. Seine Burg war ihm zu eng, und doch mochte er nicht hinaustreten in’s Freie, entsetzlich quälte ihn die Einsamkeit, und doch floh er die Menschen, er versuchte zu beten, aber er konnte seine Gedanken nicht erheben gen Himmel. Da fielen ihm die Worte des Vater Ambrosius ein. Er raufte sich die Haare, er schlug sich mit Fäusten und verfluchte den Tag seiner Geburt. Gegen Mittag war er aus Weißenstein verschwunden. Einen Knappen hatte er noch vorher zu Konrad v. Vaihingen geschickt mit allen Schätzen, die er auf seiner Burg hatte, mit dem Auftrage, der Währwolf möge ein Kloster damit stiften. Durch ebendenselben Diener ließ er dem Vater Ambrosius sagen, er möchte für seine Seele beten, und während seiner Abwesenheit als Burgvogt Weißenstein schirmen.

Der Vaihinger erbaute noch kurz vor seinem Tode mit Belrems und seiner eigenen Stiftung das Kloster Reichertshofen. Ihn ereilte die Rache bald, einer seiner Knechte, dessen Vater er erschlagen, erstach er hinterrücks. Der Währwolf liegt in Reichertshofen begraben.

(Schluß folgt.)


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