Pforzheims’s Vorzeit.
Für Pforzheim und seine Umgebungen.

Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand;
Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor Allen dir gewogen! Wieland.

Nro. 12. Samstag den 21. März. 1835.

Pforzheim am Schlusse des 17ten Jahrhunderts.
Zweite Abtheilung.

1. Zustand der Stadt nach dem zweiten Brande. Schwache Versuche, die Sachen wieder ins alte Gleis zu bringen.

(Fortsetzung.)

Diese Thore wurden alle stark besetzt, so weit wenigstens die geringe Zahl der Bürger es zuließ; denn diese mußten von uralten Zeiten her, da sie fast bis auf die Zeit, von welcher die Rede ist, eine militärische Erziehung von Jugend auf erhielten, sowohl Kriegsdienste im Felde, wie auch Garnisonsdienste versehen. Außerdem war auch noch eine ziemliche Anzahl von bewaffneten Bürgern nöthig, um in den unruhigen Zeiten, wo beständig kleine Heeresabtheilungen das Land durchzogen, die auf dem Felde mit der Einsaat beschäftigten Bürger zu schützen. Zugleich mit diesen Vorsichtsmaaßregeln wurde auch der Befehl bekannt gemacht, daß auf ein gegebenes Lärmzeichen mit der "Aydsglocken" (Sturmglocke) oder der Trommel jeder waffenfähige Bürger, Offizier und Gemeiner, auf dem Markte vollständig bewaffnet erscheinen sollte.

Diese Vorsicht war aber nicht allein gegen die auswärtigen Feinde, sondern auch gegen die Bürger selbst nöthig, um das allzuhäufige Entweichen derselben zu verhindern. Es war, wenn nicht Einhalt gethan wurde, eine gänzliche Entvölkerung der Stadt zu befürchten. Gleich nach dem Brande, den 11. (21.) August war deßwegen ein fürstlicher Befehl ererschienen, daß die Bürger die Stadt nicht verlassen sollten. Die Bürgerschaft hatte darauf auch durch ihre Abgeordneten Deschler, Fink, Günther und Stadtländer erklären lassen, daß sie bereit seyen, dem fürstlichen Befehle nachzukommen, wieder Hütten und Häuser bauen, sobald es geschehen könne, und in allem ihrem Fürsten mit Gut und Blut unterthänig seyn und bleiben wollten; müßten aber auch zugleich bitten, daß die Stadt und Bürgerschaft bei ihren alten Freiheiten erhalten und von dem beschwerlichen Pfundzolle befreit werden möchte.

Letzeres war indessen bei den schwierigen Zeitverhältnissen für jetzt unmöglich; doch blieben die Bürger ihrem Versprechen, die Stadt ohne Erlaubniß nicht zu verlassen, treu, obwohl die noch immer steigende Noth gar manchen zur Auswanderung nöthigte.

Bei weitem die schwerste Arbeit aber war die Eintreibung der vielen nothwendigen Gelder. Da die Einkünfte der Stadt entweder ganz verloren waren, oder nur sehr unregelmäßig eingiengen, so mußten die vielen außerordentlichen Ausgaben für Herstellung der durch die Franzosen zerstörten öffentlichen Gebäude, Thore ec., die noch immer fortwährenden Contributionsgelder und Lieferungen von Naturalien an die Franzosen, wie an die schwäbische Kreisregierung für die Kriegsrüstungen, die nun doch endlich mit größerem Eifer betrieben wurden, durch außerordentliche Umlagen gedeckt werden. Dies hielt schwer. Neben der allgemeinen Noth hatten die beständigen Aufopferungen der Bürger den Sinn für Gemeinwohl fast erstickt; denn auch bei den besten Anstalten war zu fürchten, daß ein neuer feindlicher Einfall sie wieder zu nichte machen würde. Es darf uns daher auch nicht wundern, wenn wir, abgesehen von dem Geschrei der gemeimeinen Menge — Beispiele von Gleichgültigkeit und Ungehorsam gegen die Anordnungen und Befehle der städtischen Obrigkeit finden, und zwar von geachteten, angesehenen Männern; um so weniger, als alle Aufopferungen doch selten der Bürgerschaft, sondern meist dem Feinde zu gute kamen. Als zur Erkundigung der Bewegungen des feindlichen Heeres Boten ausgesandt, und deßwegen eine Umlage auf die Bürger gemacht werden sollte, entstand allgemeiner Widerwille. Kaufmann Johann Terell erklärte geradezu: "Er gebe den Beschoresmachern nichts." Ambrosius Deschler, Bärenwirth und kaiserlicher Posthalter, ein sehr angesehener Mann, antwortete: "Er gebe nichts, er habe genug gelitten; die Stadt solle ihm vorher die 100 fl. bezahlen, die sie ihm schuldig sey."

Dazu kamen noch Anforderungen anderer Art. Weil die hiesige Bürgerschaft noch glücklich schien in Vergleich mit andern Städten, z. B. Durlach, da in Pforzheim noch ein Theil der Stadt gerettet worden war, während Durlach gänzlich in Asche lag, so fiel auch der größte Theil der Lasten, welche die untere Markgrafschaft zu tragen hatte, auf Pforzheim. So wurde der Stadt zugemuthet, nebst dem Amte 56 fl. zur Unterstützung des in französischer Gefangenschaft zu Philippsburg sitzenden Untervogts Scheid und Bürgermeisters Wild (von Durlach?) zu bezahlen. Der Stadtrath legte freilich die Unmöglichkeit dar. — Aus ähnlichen Gründen wurde auch das Durlacher Gymnasium hierher in das vom Brande verschont gebliebene Predigerkloster verlegt, und schon den 8. (18.) September kam der Rektor des Gymnasius, Michael Bulyowski, hierher und begann die nöthigen Einrichtungen zu treffen.

Gleichzeitig damit kam auch ein Befehl des französischen Generals Duc de Duras hieher, daß der hiesige Obervogt zu Lichtenau vor ihm erscheinen sollte. Da in dieser Zeit gar kein fürstlicher Beamter sich hier befand, so wurde deßwegen der lichtenthalische Schaffner Matthias de L’endroit abgesandt. Duras verlangte die völlige Zerstörung aller Festungswerke, theilweise Niederreißung der Stadtmauern und Ausfüllung der Gräben. Endlich ließ er sich doch mit Abtragung der von den Franzosen vor dem Brötzinger Thore, der Aue und bei der Obermühle angelegten Wälle und Palisaden begnügen. Dies verursachte neue Beschwerden, mit der Aussicht, bei dem nächsten Truppeneinmarsche wieder aufbauen zu müssen, was man jetzt niederriß.

Der größte Jammer erhob sich erst, als um Mitte Novembers sich das Gerücht verbreitete, die Stadt solle in dem bevorstehenden Winter mit einer starken Garnison besetzt werden. "Das sey, sprach darüber in einer Rathssitzung der damalige Bürgermeister Joh. Jak. Deimling, rein unmöglich, da nicht nur die Stadt in zwei Bränden fast gänzlich in die Asche gelegt, sondern auch die Einwohner diesen Krieg über um Habe und Nahrung gebracht worden seyen." In dem deßhalb an die Regierung nach Niefernburg abgesandten Memoriale heißt es ferner: "Die wenigsten Einwohner hätten
"über Nacht das liebe Brod im Hause; die noch übrigen
"Häuser seyen dergestalt mit Einwohnern überfüllt, daß kein
"Platz weiter vorhanden, jemanden unterzubringen; zudem
"würde es schon unmöglich fallen, nur das Nöthigste an Holz
"und Lichtern für die Wachen beizuschaffen, weil die dazu
"erforderlichen Mittel weder bei gemeiner Stadt, noch bei der
"Bürgerschaft anzutreffen seyen." Ein ähnliches Memoriale wurde auch an den Markgrafen Carl Gustav, als General-Feldmarschall-Lieutenant gesandt. Statt der Antwort kam den 8. (18.) November schon ein fürstlicher Befehl, sich auf die Einquartierung von einigen hundert Mann bereit zu halten, und gleich darauf die vorläufigen Anforderungen des Oberkriegs-Commissarius Joh. Konrad Hölder.

Den 10. (20.) November zogen 200 Mann Truppen des schwäbischen Kreises zu Fuß und zu Pferd, unter Hauptmann v. Hagen ein. Der Commandant verlangte sogleich Räumung der Stadtmauern, Erbauung von Wachthäusern, Verschantzung des Schleifthores, Pallisaden u. s. w. an mehreren Orten; Licht und Holz auf die Wachtstuben. Das Geld reichte aber nicht einmal hin, um die dazu benöthigten zwei Pfund Lichter täglich anzuschaffen; man wußte keinen andern Rath, als einen Weggeldstock aufzuschließen, und bekam dadurch 26 fl. 25 kr. Dies reichte natürlich nicht weit. Die auf die Bürger umgelegten Kriegsgelder giengen nicht ein, denn die Bürger konnten nicht bezahlen. Auch Erekution drang nicht durch, bis endlich der Stadtrath in der äußersten Noth den Commandanten ersuchte, militärische Erekution anzuwenden.

Ende December kam neue Garnison an.

So gieng das verhängnißvolle Jahr 1689 zu Ende.

(Fortsetzung. folgt.)


Der Bundschuh,

oder der Bauernaufstand im Jahr 1502.
Historische Erzählung.

(Fortsetzung.)

6.

Der Abend des 20. Aprils war schon angebrochen, aber Lukas war noch nicht zurückgekehrt. Die Seinigen waren zwar wenig um ihn besorgt, weil er schon öfters Geschäfte halber mehrere Tage von Hause abwesend gewesen war, desto sehnlicher aber wartete der Pfeifer auf Antwort. Die letzten Schimmer des Abendrothes waren erloschen und ein schöner mondbeglänzter Sternenhimmel erhellte die Nacht. Es war ein ruhiger Sonnabend. Schon lange sah man die Gestalt eines Mannes um Lukas Rapp’s Haus herumschleichen, gleichsam als ob er Jemand belauschen wollte. Es war der wilde Pfeifer, dessen Ungeduld man in jeder seiner Bewegungen erkennen konnte. "Der alte Schurke hat sein Wort nicht gehalten!" begann er, "ich muß wissen, ob er zurückgekommen ist." Er näherte sich mit diesen Worten der Hausthüre, ob er nicht Rapp’s Stimme vernehmen könnte. Er hörte, daß Creszentia ihrem Bruder antwortete: "Der Vater muß wichtige Geschäfte haben, da er diesmal so lange ausbleibt." "Noch nicht zurück," wiederholte der Pfeifer bei sich selbst, "ich habe gewonnen Spiel, es ist so viel, als ob er mir Antwort gebracht hätte," und in schnellen Schritten eilte er dem Walde zu.

Im Dorfe ward es immer stiller. Der Landmann ruhte aus von den mannigfaltigen Lasten der arbeitvollen Woche. Alles schien in tiefem Schlafe begraben. Nicht so war es in dem Hause, das wie schon oben als den Ort der Zusammenkunft der Verschwornen bezeichnet haben. Mit dem zwölften Glockenschlage waren alle versammelt und nur der Pfeifer fehlte; auch Creszentia hatte, um zu lauschen, ihren alten Schlupfwinkel wieder eingenommen.

"Ich kannte den Hasenfuß schon lange, sagte Fritz von Grumbach entrüstet, ich sah voraus, daß wenn es ernst wird, der tückische Spielmann zittern wird, aber zum Verrath ist er eben so feig wie zum Kampfe. Sein Kopf ist selbst in der Schlinge verwickelt; glaubt mir, er wird, wenn unsere Sachen einmal grün stehen, wieder zu uns stoßen. Aber höret Ihr so eben kein Geräusch?" Schnell entfernte sich einer der Bauern, um die Sicherheit des Ortes zu untersuchen. Nach einigen Minuten kam er wieder herein und äußerte seine Vermuthung, es müsse ein Gefährt seyn, das auf dem Markte zu Durlach sich verspätet habe und jetzt erst zurückgekehrt sey. Nachdem diese Besorgniß vorüber war, erhob sich Fritz von Grumbach und begann zu sprechen: "Zum Letztenmale sind wir versammelt um Mitternacht, unsere Sache ist endlcih so weit gediehen unter dem sichtbaren Beistande der Himmelskönigin; nach wenigen Stunden werden wir frei seyn wie der Pfaffe und der Edelmann, auf daß wir und unsere Nachkommen nimmer seyen leibeigen unseren Zwingherren. Habt Muth, Kameraden, die Mutter Gottes, zu der Ihr täglich betet, steht uns bei, wir werden siegen. Hier, in Ersingen sind Konrad und Eberhard Eure Hauptleute, den Schulzen sollt Ihr todtschlagen und auf sein Haus den rothen Hahn setzen. Dann zieht Ihr nach Grumbach, wo ich Euch mit den andern erwarte. Von dort aus geht der Zug nach Bruchsal. Alles wird uns gelingen, denn — Was war das?" Seine Rede war durch einen schwachen Schrei eines Weibes außerhalb des Hauses unterbrochen worden, der einigen wie das Wort: "Verrathen" zu klingen däuchte. Die Versammelten sprangen bestürzt auf, einige bestiegen den obern Boden des Hauses, um von dort herab Kunde über den seltsamen Vorfall einzuziehen, andere lauschten durch die Ritzen der Fensterläden. Aber ihre Furcht war nur zu sehr gegründet. Wilhelm v. Sachsenheim hatte sich dem Hause, so still wie möglich mit seinen Reisigen, über die ihn der Markgraf zum Anführer gesetzt hatte, vom Walde her genähert. Creszentia hatte zuerst das Geräusch vernommen und war, über die drohende Gefahr gewiß, um die Verschwornen zu benachrichtigen, von ihrem Verstecke herabgestiegen. Ehe sie aber die Thüre des Hauses erreichte, ergriff sie der Sachsenheimer selbst und ein rascher Stoß mit dem Dolche war die Ursache des Schrei’s, den sie sterbend ausstieß.

Die lauten Befehle des Ritters, nachdem das Haus von den Lanzknechten umzingelt war, ließen die Verschwornen nicht länger in Ungewißheit. Innen im Hause aber schien Alles erstorben zu seyn.

"Erbrecht die Thüre, haut nieder, wer Euch widersteht, schont des Weibs und der Kinder nicht, sage ich Euch, ich will sie ausrotten, diese Brut von Hunden!"

Während Sachsenheim’s Leute beschäftigt waren, die Thüre mit Gewalt zu öffnen, rißen sie die Verschwornen selbst in wüthender Verzweiflung auf, und stürzten wohlbewaffnet, Konrad, Fritz und Eberhard an ihrer Spitze, heraus auf die Reisigen. Ein mörderisches Gefecht entstand; Eberhard war unter den ersten, der fiel. Vesperleuter aber und Fritz von Grumbach drangen durch die Reihen der Lanzknechte, bis sie dem Ritter gegenüber standen. Vesperleuter stürzte mit den Worten: "Mörder meines Vaters, hier treffe ich dich wieder," wüthend auf ihn los. Nach einem kurzen Gefechte mit Sachsenheim sank dieser rückwärts zur Erde. Konrad aber hatte sich durchgeschlagen und das Freie gewonnen. Fritz von Grumbach war, nachdem er mit seinem breiten Schwerte (durch das Haus war er im Rücken gedeckt) das Hintergebäude erreicht hatte, seinen Verfolgern aus den Augen gekommen. Er stieß auf einen Mann, der mit höllischer Freude Feuerbrände in die Heubühne warf. Er erkannte sogleich den wilden Pfeifer. "Du hier, wackerer Spielmann," schäumte Fritz, sein Schwert blitzte durch die Luft, und nach einigen fürchterlichen Zuckungen lag der Pfeifer entseelt am Boden. Aber die Verschwornen waren der Uebermacht unterlegen. Todte und Verwundete von beiden Seiten bedeckten den Kampfplatz. Die Gefangenen wurden gebunden und bewacht. Ein erstickender Rauchqualm drang durch das Dach, endlich loderte das Feuer hellauf. Ein gräßliches Geheul tönte aus dem Innern des Hauses, aber Niemand war gesonnen, die Unglücklichen, die im Hause zurückgeblieben waren, zu erretten. Die Balken stürzten, die Flammen prasselten. Das Jammern der Verwundeten, das Geschrei der Sieger und die gräßliche Helle der Flammen mußten sonst jedes menschliche Gemüth erschüttern, nur in jenen Zeiten war dies, besonders bei den Söldlingen ein weder seltenes noch empörendes Schauspiel. Im Dorfe vernahm man wohl das fürchterliche Geräusch, dennoch sah man Niemand, der sein Haus verlassen hätte. Schon damals war der Aberglaube von einem wilden Jäger, der um Mitternacht mit seinem Gefolge unter furchtbarem Getöse durch die Lüfte rausche, in dem Munde des Volks. Die Furcht vor diesem Ungeheuer hielt die Bewohner des Dorfes auf ihrem Lager. Ja selbst die Wächter hielten die Flammen für jenen gelben Schwefelschein, den der Unhold bei seiner Fahrt über den Häuptern der erschrockenen Menschen verbreite. Endlich stürzten unter furchtbarem Krachen die letzten Reste des Hauses. Die Gefangenen wurden nach Pforzheim abgeführt. Sachsenheim lag noch lange ohnmächtig in den Armen seines Dieners, der ihm die tiefe Brustwunde auswusch. Als er die Augen wieder aufschlug, verfertigte man aus Zweigen und Hellebarden eine Tragbahre, worauf man den schwerverwundeten Ritter legte. Sie trugen ihn langsam in’s Dorf hinein, wo sie ihn in einer elenden Bauernhütte bis zum Tagesanbruch liegen ließen.

(Schluß folgt.)


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