Pforzheims’s Vorzeit.
Für Pforzheim und seine Umgebungen.

Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand;
Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor Allen dir gewogen! Wieland.

Nro. 13. Samstag den 28. März. 1835.

Pforzheim am Schlusse des 17ten Jahrhunderts.
Zweite Abtheilung.

1. Zustand der Stadt nach dem zweiten Brande. Schwache Versuche, die Sachen wieder ins alte Gleis zu bringen.

(Fortsetzung.)

Diese Garnison drückte unter Oberst Palffy die Stadt das ganze Jahr 1690 hindurch, und es kam noch gegen Ende des Jahres eine Abtheilung Husaren dazu. Zwar sollte nach Beschluß der Kreise die Stadt Augsburg die Verpflichtung haben, diese Garnison zu unterhalten, und die Stadt Pforzheim sollte denselben nur Obdach gewähren; aber das große Augsburg kam, wie es scheint, dieser Verpflichtung nicht nach, und so fiel die ganze Last der Einquartierung abermals auf die hiesige Stadt. Die rührenden Schilderungen der allgemeinen Noth in den öfters eingegebenen Memorialen, "daß man der Stadt bei ihrem miserablen Zustand und bekannten Ruin und der allzuschweren Einquartierung keinen weiteren Beitrag zumuthen könne, und daß man vielmehr um einige Gnade ansuchen wolle;" die immer wiederkehrenden Berichte von der Wegnahme und Vernichtung der Feldfrüchte durch die Fourageurs der Garnison, die beständigen Lieferungen an Naturalien ec., zeigen es deutlich genug. Zudem kamen die fortdauernden Kriegsgelder an die französischen Commandanten in Straßburg und später Philippsburg. Diese mußten fast jedesmal mit militärischer Erekution eingezogen werden. Der Schuldner mußte die mit der Erekution beauftragten Soldaten so lange behalten, bis er zahlte, und ihnen noch überdies für jede Stunde eine Entschädigung geben. — Schon der Anfang des Jahres hatte sich durch einen großen Eisgang mit Ueberschwemmung ausgezeichnet, wodurch die Auer Brücke gänzlich, die Altstädter Brücke größtentheils zerstört, und fast alle Dämme und Wehre beschädigt wurden. Die zur Wiederherstellung derselben nöthigen, bedeutenden Kosten, wozu keine Mittel vorhanden waren, fielen bei den übrigen schweren Zahlungen der Bürgerschaft zu schwer; der Stadtrath griff daher zu einem für frühere Zeiten außerordentlichen Mittel: er setzte auch den gefreiten Personen (Staatsdienern und Adelichen) und den Juden, die bisher ebenfalls frei von außergewöhnlichen Abgaben gewesen waren, ihren Beitrag an, und die Juden mußten auch Einquartierung aufnehmen. Die durch diese Maaßregeln für den Stadtrath entstandenen Mißhelligkeiten wurden noch vermehrt, als in der Mitte des Jahres die Metzgerzunft sich hartnäckig weigerte, die extraordinären Kriegsgelder zu bezahlen; auch die übrige Bürgerschaft fieng an, schwürig zu werden. Willkommen war es daher dem Stadtrathe, wie der Bürgerschaft, als im December des Jahres Markgraf Friedrich Magnus selbst hieher kam; Alles schöpfte neue Hoffnung und wartete auf Erleichterung und Hülfe, freilich vergebens; was konnte der Markgraf thun?

2. Das Jahr 1691. Plünderung Pforzheims.

Und doch war das Jahr 1690 noch eines der glücklichsten in diesem Kriege. Dagegen begann mit dem Jahre 1691 eine Reihe von Leidensjahren, die das noch wegrafften, was bis jetzt noch übrig geblieben war. Der Zustand der Stadt, wie er am Ende des Jahres 1690 gewesen war, dauerte auch im Jahre 1691 bis gegen dem Monat Juli hin, fort. Aber der in diesem Jahre aufs Neue ausgebrochene Krieg störte auch diese geringe Ruhe. Gleich in den ersten Monaten dieses Jahres begannen die Rüstungen der verbündeten Fürsten gegen Frankreich. Die Franzosen begannen aber den Krieg selbst. Sie streiften bis Mainz, doch ihr Plan, diese Festung zu überfallen, wurde entdeckt und vereitelt, und die teutschen Truppen giengen (15. (25.) Juli) bei Mannheim über den Rhein. Aber die Franzosen waren schneller. Noch vor dem Uebergang der teutschen Truppen über den Rhein, wurde Durlach von französischen Streifparthien von Fortlouis aus, zweimal geplündert; die Hauptarmee 30.000 Mann stark, zog bei Philippsburg über den Rhein auf Stuttgart zu, und kam so auch nach Pforzheim.

Bei ihrer Annäherung floh in Pforzheim, wer fliehen konnte und suchte seine beste Habe zu retten. Aber es gelang nicht allen; viele wurden vor der Stadt von den schnellanrückenden Franzosen ergriffen und beraubt. Die Besatzung der Stadt, 400 Mann würtembergische Kreistruppen, unter Graf v. Fürstenberg, wurde nach kurzem Widerstande überwältigt und kriegsgefangen nach Frankreich geführt*Viele unter ihnen wurden nachher unter die französische Truppen gesteckt und mußten in dem bald darauf ausgebrochenen spanischen Erbfolgekrieg in Spanien dienen.. Die von Einwohnern leere Stadt wurde (in den ersten Tagen des Monats August) ausgeplündert; die vorhandenen Glocken (die Glocken der Barfüsser- und Stadtkirche waren schon in dem zweiten Brande 1689 durch die Franzosen geraubt worden) wurden sämmtlich fortgenommen; und diesmal war es wohl auch, wo die Gruft in der Schloßkirche erbrochen und die alten zinnernen Särge zerschlagen wurden. Die Armee mußte jedoch schnell nach Stuttgart vorrücken, und so blieb wenigstens noch ein Vorrath an Mehl und Wein übrig. Dies war aber auch alles. Kurz vorher hatten die Bürger das, was sie beim zweiten Brande glücklich in andere Städte, besonders Ulm, gerettet, jetzt nach und nach wieder geholt, aber alles war jetzt geraubt. Die Bevölkerung nahm abermal schnell ab durch die starken Auswanderungen. Auch das im September 1689 von Durlach hierherverlegte, und im März 1690 eingeweihte Gymnasium wurde wieder aufgelöst, und die Professoren zerstreuten sich im Auslande. Der Rektor Bulyowski wurde Rektor des Gymnasiums in Oehringen, der zweite Lehrer Bendel kam nach Schleßwig, und Ludovici starb.

(Fortsetzung folgt.)


Der Bundschuh,

oder der Bauernaufstand im Jahr 1502.
Historische Erzählung.

(Schluß.)

7.

Unsere Erzählung nähert sich ihrem Ende. Wir führen den Leser zurück in das Haus Wilhelms von Sachsenheim. Die Frühlingssonne beschien so heiter die dunkeln Gassen unserer Vaterstadt, daß Jung und Alt die engen Wohnungen verließ, um den schönen Sonntag recht zu genießen. Aber in dem Hause des Ritters achtete Niemand des wiederkehrenden Frühlings. Dort war es unheimlich und duster, Todesstille herrschte, die Bedienten schlichen auf den Zehen durch die Zimmer, um ihren todtkranken Herrn nicht in seinem Schlummer zu stören. Es war eines jener großen, öden Gemächer des Alterthums, in welchem der verwundete Ritter lag. Ein großes Feuer brannte in einem ungeheuren, steinernen Kamin, die Fehden der Vorfahren des Ritters hingen, im Geschmacke jener Zeit auf alte Tapeten gemalt, an den Wänden; massives Schreinwerk und ein hohes und breites Bette, in welchem der Ritter lag, zierten das Zimmer, welches kaum einige Sonnenstrahlen durch die gothischen, dunkeln Fenster mit runden Scheiben erhielt. Ein Mann von sonderbarem Aussehen und seltsamer Kleidung beugte sich über den schlafenden Ritter und betrachtete ihn mit einer wichtigen Kenner-Miene. Diese lange, hagere Gestalt mit rohen und gemeinen Gesichtszügen war ein Sohn Aeskulap’s jener Zeit, der neben mancherlei natürlichen Mitteln auch allerlei Beschwörungsformeln gegen jede Art von Krankheiten, Hexerei und Zauberei zu kennen sich rühmte. Der Verwundete erwachte und der kluge Arzt versicherte sogleich, der Zustand des Kranken habe sich gebessert, zur völligen Genesung müsse er noch den berühmten Kräutersaft einnehmen. Mit diesen Worten zog er einen gewaltigen Kolben, angefüllt mit einem braunen Safte, aus der Tasche. Das Gefäß selbst war mit einer Anzahl rother Kreuze und Trutenfüße bemalt. "Verschluckt es, sagte der Doktor ermunternd, ich habe es unter günstiger Constellation gekocht." Der Kranke hegte Zutrauen zu der Kunst des weisen Arztes und verschluckte die stinkende Latwerge. Aber nach Verfluß von einen halben Stunde nahm die Krankheit des Ritters sichtbarlich zu. Das Fieber hate sich heftiger eingestellt, was aber der Medikus als ein Zeichen der Besserung ansah. Da trat die Schwester Sachsenheims, Brida, ein, um ihren kranken Bruder zu besuchen. "Es ist schlimmer geworden," rief sie sogleich leise dem Doktor zu, und schüttelte das Haupt. "Bruder, sagte sie weinend, ich habe dir eine wichtige Nachricht zu überbringen. Agnes, deine verstoßene Gemahlin ist todt, ein Bauernweib, in deren Hütte sie verschieden war, brachte mir heute Morgen diese wenigen Zeilen." Sie entfaltete das Papier und las: "In meiner Todesstunde will ich dir nicht fluchen, aber glaube meinen letzten Worten: So gewiß, als uns einst Jesus Christus richten wird, so gewiß ist das unglückliche Geschöpf dein Kind. Bei allen Heiligen im Himmel beschwöre ich dich, verstoße deine Tochter nicht."

Diese Worte machten auf die sonst äußerst rauhe und harte Seele des Sachsenheimers jetzt einen unbeschreiblichen Eindruck. Mit bewegter Stimme antwortete er: "Schwester, die Nachricht kommt zu spät, sie ist todt —!" "Sie ist todt," wiederholte eine tiefe Stimme. Es war Lukas Rapp. Ohne bemerkt zu werden, war er in das Zimmer getreten. Die Begebenheiten des vergangenen Tages hatten eine furchtbare Veränderung in dem Aeußern des alten Mannes hervorgebracht. Mit geisterbleichen, verzerrten Zügen schaute er wild auf das Bette des Ritters. Seine grauen Haare waren zerrauft, seine Kniee zitterten und seine Augen hatten jenes unstäte Umherirren eines Wahnsinnigen. Er näherte sich langsam dem Bette, und als er dem Ritter nahe war, stürzte er betäubt zusammen. "Sie ist todt," sagte er nach einigen bangen Minuten, "beide sind todt, mein Eberhard, mein Sohn und Eure Tochter!" "Armer Mann, Ihr redet irre," sagte Brida mit zartem Mitleiden, "meines Bruders Tochter ist schon längst todt." "Nein, nein, bei der heiligen Jungfrau, ich fürchte nichts mehr, nicht Marter, nicht Tod, das Gräßlichste muß ich erzählen. So wißt, Ritter, Ihr habt Eure eigene Tochter erstochen!" Die Aebtissin stieß einen Schrei des Entsetzens aus, Sachsenheim lag aber stumm und blaß wie der Tod auf seinem Lager. "Es war meine Tochter, welche vor einem halben Jahre starb, ich täuschte Euch, und gab vor, es sey die Eurige, um gewiß zu seyn, daß die Uebriggebliebene, die mir lieb war wie meine eigene Seele, mir nicht einst wieder zurückgefordert werde. Meine Tochter liegt begraben, sucht die Eure unter den Trümmern des abgebrannten Hauses!" Die Kräfte verließen wieder den alten Mann und ohnmächtig stürzte er rücklings nieder. Sachsenheim hatte sich während der Erzählung aufgerafft und sein Auge war gläsernstarr auf Lukas gerichtet. Als dieser geendet hatte, stieß er einen herzschneidenden Schrei aus, das Fieber rüttelte gräßlich seine Glieder, und seine Zähne klapperten, verzweiflungsvoll rieß er seine verbundene Wunde auf, die aufs Neue zu bluten anfieng. Seine Schwester Brida war, einer Ohnmacht nahe, auf die Kniee gesunken, als sie wieder erwachte, war Lukas verschwunden, und ihr Bruder lag entseelt. Sein gebrochenes Auge starrte noch immer auf den Ort hin, wo Lukas gestanden, und die Züge der Verzweiflung waren auch im Tode nicht aus dem Antlitze verschwunden. Brida, obwohl ein Weib, faßte sich schnell wieder. Chorgesang und Orgelton schallte soeben herüber von der St. Michaelskirche. Sie knieete nieder am Bette ihres Bruders, und betete lange und andächtig. Als sie wieder aufstand, warf sie noch einen langen und schmerzensvollen Blick auf den Todten, drückte ihm die Augen zu und verschwand leise aus dem Gemache.

Der Doktor aber versicherte die Bedienten noch eine ganze Stunde nachher, der Kranke sey nur in einen tiefen Schlaf, auf den baldige Besserung erfolgen werde, verfallen, was wir ihm gerne glauben mögen.

Der darauf folgende Mittwoch war ein trüber, düsterer Tag, aber in den Straßen Pforzheims war es lebhaft. Eine große Volksmenge strömte dem Schloßberge zu, um das prächtige Leichenbegängniß Wilhelms v. Sachsenheim mit anzusehen.

Ein dumpfer Trauergesang in tiefen Tönen erschallte in der Ferne. Es waren die Barfüßer, welche ein Requiem sangen. Endlich bewegte sich der Zug unter Glockengeläute und Gesang vorwärts gegen die Schloßkirche. Viele Ritter und Edle, Mönche und Nonnen folgten. Die Träger setzten vor dem Thore den Sarg nieder. Die Musik und der Chor verstummte, es herrschte eine Todtenstille rund umher. Da erhob sich plötzlich ein erschütterndes Geschrei von Kindern und Weibern. Es waren die Verwandte der gefangenen Bauern, die aus dem Amthause gekommen waren, wo so eben ihren Männern, Vätern und Brüdern das Todesurtheil vorgelesen worden war. Die Justiz jener harten Zeit machte wenig Umstände, und ein durch die Folter erpreßtes Geständniß war schon hinreichend. — Es war ein herzzerreißender Anblick. Die Weiber rauften heulend ihre aufgelösten Haare, die Kinder rangen die Hände und riefen die Namen ihrer gefangenen Väter. Der Zug betrat unter dem Trauergesange: Stabat mater dolorosa*An dem Kreuze stand die Mutter ec. die Kirche.

Dort wurde der Sarg beigesetzt, und wenn wir nicht irren, sahen wir noch vor einigen Jahren den Grabstein Wilhelms von Sachsenheim.

Wir müssen nun zurückblicken auf die übrigen Personen unserer Erzählung. Unser Held, Konrad Vesperleuter, entkam glücklich. Die alte Judith soll ihn lange im Keller verborgen haben, bis sich eine günstige Gelegenheit darbot, nach der Schweiz, wo er von seinem Kriegsdienste her, Freunde und Bekannte hatte, zu entkommen. Das traurige Schicksal Creszentia’s hatte er nur halb erfahren, sie sey nämlich aus Gram über ihres Bruders Tod gestorben. Wenn wir den Nachrichten trauen dürfen, fiel Konrad in der unglücklichen Schlacht bei Kappel 1531 als ziemlich bejahrter Mann für die Sache der Protestanten. Fritz von Grumbach war auf immer verschwunden, und Niemand weiß, welches Land den Flüchtling aufgenommen haben mag.

Lukas Rapp wurde ein reicher Mann, denn der Markgraf Philipp von Baden-Durlach, der Bischof von Bruchsal (Speier) beschenkten ihn reichlich; ob er aber je Gemüthsruhe erlangt, oder ob sein Reichthum die Gewissensbisse aus seinem Herzen habe verbannen können, möchten wir sehr bezweifeln. Er starb bald und vermachte sein ganzes Vermögen den Barfüßern zu Pforzheim, die ihn von allen Sünden absolvirten und in der Leichenrede von seinen mancherlei Tugenden sprachen, die er, so lange er im Fleische gewandelt, als frommer Christ ausgeübt habe. Wir wollen ihn nicht verdammen.

Die Verschwornen in Bruchsal und in Speier, so wie auch in Grumbach, wurden alle festgenommen und empfiengen ihr Urtheil. Sie wurden verviertheilt, gerädert und geköpft, die am wenigsten Schuldigen des Landes verwiesen.

Außer den schon Bekannten sind uns noch einige Namen von Verschwornen der Umgegend überliefert worden. Es sind: Ambrosius von Brötzingen, Konrad Luterer von Hanigen (ein Ort, der uns unbekannt ist.) Kaspar Eberlin von Brötzingen. Martin Kreußler von Ersingen. Jakob Suter von Untergrumbach.

So gräßlich auch die Strafen waren, welche an den Bauern vollzogen wurden, schreckten sie doch nicht gänzlich ab. 1524 brach die Flamme, deren Funke unterdessen nicht erloschen war, fürchterlicher aus. Die Reformation war nicht die Urheberin des mörderischen Bauernkrieges, wie manche behauptet haben, der Hunger war es und das verzweiflungsvolle Elend, unter dem die niedere Menschenklasse schmachtete. Jener Kampf war, wie Zschokke sagt, ein gräßlicher Nothschrei der bedrängten Menschheit.



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