Pforzheims’s Vorzeit.
Für Pforzheim und seine Umgebungen.

Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand;
Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor Allen dir gewogen! Wieland.

Nro. 20. Samstag den 16. Mai. 1835.

Weißenstein.

Wir haben im Anfang unseres Blattes unsere Leser auf dem blumigen Pfade der Romantik nach Weißenstein geleitet, und sie sind uns, wie wir glauben, gerne gefolgt; sie mögen und ebenso treulich folgen, wenn wir sie nun der weniger anmuthigen Hochstraße der Geschichte eben dahin führen.

Der Leser erwarte nicht, daß er auf dem ganzen Wege eine geebnete, feste, überall gleich breite und bequem getretene Straße finden werde. Die Geschichte von Weißenstein gleicht eher einem neuangelegten Wege, wo bei aller angewandten Sorgfalt der Boden nicht so festgetreten ist, wie auf einer schon vielfach befahrenen und begangenen Straße, gleicht ferner einem Wege, wo aus Mangel an Steinen leichteres Material angewandt werden muß, und der Leser wird daher manchmal die Füße heben müssen, um nicht in dem lockern Sande der Vermuthungen einzusinken.

Wir könnten dies leicht weiter verfolgen, wollen aber deutlicher reden, weil wir nicht voraussetzen können, daß jedem Leser unsere schönen Gleichnisse im ersten Augenblick verständlich seyn werden. Etwas Zusammenhängendes über die Geschichte Weißensteins zu geben, ist unmöglich; die vorhandenen Notizen sind bald zu geringfügig, bald zu trocken, alle aber unzureichend; eine und die andere Urkunde, von der etwas mehr Licht zu hoffen wäre, sind unzugänglich; es ist gar nichts vorgearbeitet, was etwa zu Grunde gelegt werden könnte — was alles zusammengenommen nothwendig bedeutende Lücken lassen muß, und wir sind nicht gesonnen, sie durch grundlose Vermuthungen auszufüllen.

Ein richtiger Geschmack beurkundet sich durch die Wahl des Ortes zur Erbauung der Burg. Eingeengt von bedeutenden, theilweise schroff absteigenden Hügeln windet sich die Nagold, kaum schmale Fahrwege neben sich dultend, mühsam unter manchfachen Windungen fort, bis sie endlich durch eine halbmondförmige Biegung des waldigen Bergrückens, Kallert zu einer wundersamen Krümmung gezwungen wird. Da wo diese Krümmung beginnt, liegt Weißenstein, und am Anfange des Dorfes, auf beiden Seiten in die Nagold hinabschauend — das alte Schloß. Von diesem an erhebt sich die Höhe schnell, und da wo der Berg anfängt sanfter anzusteigen, erblicken wir eine zweite Ruine, und auf der entgegengesetzten Seite der Nagold, in dem hier wandartig schroffen Kallert eine dritte. Unverkennbar geht aus der Lage der drei Burgen hervor, daß es bei ihrer Erbauung die Beherrschung des Nagoldthals erzweckt werden sollte, denn die bloße Beschützung der eigentlichen Burg, im Dorfe selbst konnte ohne besondere Beweggründe nicht die einzige Absicht gewesen sey. Ob dieser Zweck aber ein kriegerischer war, oder ob der Erbauer, von großer Gefahr gedrängt oder solche voraussehend, zu seiner persönlichen Sicherheit so sorgfältige Bewachung für nothwendig erachtete, ob die Burg als ein Zufluchtswinkel für einen Raubritter erbaut worden — das alles mag jeder sich denken, wie er will. Beides hat seine Schwierigkeiten; im ersten Falle sieht man nicht ein, wozu hier ein militärischer Haltpunkt dienen sollte, wo theilweise kaum zu einem gewöhnlichen Fahrwege, geschweige zu einer eigentlichen Straße Raum ist* Dadurch fällt auch wohl von selbst die sonderbare Behauptung eines Artikels im Freiburger Unterhaltungsblatt weg. Der Herr Verfasser des Artikels weiß auf Zeitabschnitte, über welchen bisher eine durch Mangel an Nachrichten undurchdringliches Dunkel schwebte, ein so blendendhelles Licht zu verbreiten, daß wir fast fürchten, er habe sich selbst die Augen daran verdorben. Wir können zwar nicht aburtheilen, da wir nicht wissen können, welche Beweise er für seine nebelgrauen Behauptungen aufzuführen vermag; er kann jedoch, so wie die Sachen stehen, Niemanden zumuthen, alles was er sagt, ihm auf’s Wort zu glauben. Nachdem der Verfasser zuerst ein Langes und Breites über die großen militärischen Kenntnisse Ariovists gesprochen hat, sucht er dieselben besonders in seinen gegen die Römer angelegten Vertheidigungswerken nachzuweisen. Der Verfasser kennt die Richtung, welche Ariovist verfolgt habe so genau, als ob noch dessen Tagebuch darüber vorhanden wäre. Unter diesen von Ariovist angelegten Werken ist denn nun nach des Verfassers Meinung Weißenstein. Es ist erbaulich, das Ganze zu lesen. Man hat schon längst die vermeintliche porta hercyniae (martianae) gesucht, und glaubte durch die neulich geschehenen Ausgrabungen im Hagenschieß den Schlüssel gefunden zu haben. Aber nicht da, wo eine große römische Heerstraße durchzog, auch sonst nirgends, nein in Weißenstein war die Pforte des Schwarzwaldes! Offenbar ist diese doch da zu suchen, wo eine Hauptstraße möglich ist; diese erlaubt aber das enge Nagoldthal nicht; und welcher Gewinn war denn für die Römer, denen die porta martianae silvae wichtig genug war, aus der Beschirmung des engen, fast unwegsamen Nagoldthales zu suchen? welcher für Ariovist? die engen Thäler, die waldigen Höhen gewährten den der Gegend kundigen Teutschen hinlänglichen Schutz. — Eben so scharfsinnig ist die Behauptung des Verfassers des genannten Artikels, daß die drei Burgruinen bei Weißenstein ein Werk Ariovists seyen. Es ist unnöthig solche Paradoxien, wenn diese Behauptungen diesen Namen verdienen, weiter zu widerlegen. ; gegen das letztere ist zu bemerken, daß die Erbauung Weißensteins in eine Zeit fällt, wo das Raubritterwesen eine solche Höhe noch nicht erreicht hatte, auch findet sich nicht die leiseste geschichtliche Andeutung darüber.

Wir können voraussetzen, daß die meisten unserer Leser diese Burgen schon oft besucht haben, und halten also eine nähere Beschreibung für überflüssig. Noch jetzt heißen die drei Burgen im Munde des Volkes Hoheneck, Rabeneck und Kräheneck, und schon in einer alten Urkunde von 1459 findet sich der Kreynecker (Krähenecker) Berg. Wer die romantische Lage Weißensteins mit einem Blicke überschauen will, besteige Hoheneck (Kallert) und Kräheneck (gegen Büchenbronn), in welch letzterem freilich eine unverzeihliche Rohheit die auf die Spitze der Ruine führende, vor Kurzem noch wohl erhaltene Wendeltreppe fast gänzlich zerstört hat.

Wem diese Burgen ihre Erbauung zu verdanken haben, ist, wie so vieles in das frühere Mittelalter hinaufreichende, völlig unbekannt. So viel scheint jedoch sicher, daß der Besitzer von Pforzheim auch Weißenstein sein eigen nannte, denn kaum finden wir Pforzheim unter den Markgrafen von Baden, so ist es auch Weißenstein, und mag also wohl, wie auch vermuthlich Pforzheim, aus der Erbschaft der Grafen von Calw an Baden übergegangen seyn.

Wir finden Weißenstein mit seiner Burg schon im 13ten Jahrhunderte. Damals saß auf Weißenstein ein adeliches Geschlecht, das sich davon benanntr. Wir finden wenige Nachrichten über dasselbe, denn es starb im nämlichen Jahrhunderte aus.

Der erste, der aus ihm bekannt ist, ist Berthold von Weißenstein (advocatus de Wizenstein.) Im Jahr 1231 heirathete Kuno von Menzenberg die Gräfin Adelheide, Tochter Pfalzgraf Wilhelms von Tübingen. Außer vielen Andern, Graf Eberhard von Würtemberg, Volbert von Voltringen, Walther von Waiblingen ec. war auch Zeuge dabei der genannte Berthold.

Gleichzeitig mit Berthold, wahrscheinlich aber früh lebte Belrem (oder Belrein) von Wizzensteyn. Sein Name glänzt in der Geschichte der Klöster des schwäbischen Landes. Gemeinschaftlich mit einem Grafen von Vaihingen gründete er das Cystercienser-Kloster Reichartshofen oder Rechenzhofen zwischen Bietigheim und Bönnigheim, auch Marienkron genannt. Wir wissen nicht, was sie dazu bewog; weiß auch die Sage sich zu helfen, so muß diese doch der treuen Geschichts-Erzählung fremd bleiben. Beide Stifter mochten wohl Schweres abzubüssen und durch Stiftung eines Klosters Ruhe gesucht haben. Das Kloster wurde sowohl von den Stiftern selbst, als auch von ihren Nachkommen und Verwandten reichlich begabt. Im Jahr 1245 schenkte Albrecht von Lomersheim (bei Dürmenz, Sitz eines alten, längst verschwundenen Geschlechtes; Maulbron, dessen Stifter Walther von Lomersheim war, bewahrt noch das Andenken an diese Familie), Canonicus an der Domkirche in Speier, und Priester an der Pfarrkirche zu Sachsenheim, als naher Anverwandter Belrems dem Kloster Rechenzhofen den Neubruchzehnten in Sachsenheim.

handschriftliche Beilage

Berthold von Wizzenstein, ein Nachkomme des Stifters, schenkte ihm 1255 auch einige Güter. Rudolf von Roßwag genannt von Ufenberg, der ältere, war Zeuge bei dieser Schenkung.

Walther, ein Ritter der alten Stadt Luphen (Laufen) bereicherte des Kloster mit einem Hof und einem Theile des Zehnten zu Hephenken (Höpfigheim zwischen Bießigheim und Großbotwar), und Graf Konrad von Vaihingen machte im Jahr 1302 diesen Hof und Zehnten zu einem Freigut.

Noch gar manche andere beschenkten das Kloster; besonders wird noch Suiggers von Gemmingen gedacht.

In welchem Jahr das Kloster eigentlich gestiftet worden sey, ist unbekannt. Die Stiftungs-Urkunde ist wahrscheinlich längs verloren. Einigen Ersatz dafür gewähren uns die Ueberreste von zwei Urkunden. Es sind die Urkunden, in welchen, wie schon erwähnt ist, Albrecht von Lomersheim dem Kloster den Neubruchzehnten in Sachsenheim schenkte und Konrad von Vaihingen die Schenkung Walthers von Laufen frei machte. In jener, von 1245 heißt es, daß Albrecht von Lomersheim dies thue, um Christi willen und aus Ehrerbietung gegen dessen Mutter, die Jungfrau Maria, wie auch aus Liebe gegen Belrein (von Wizzenstein), eurem Stifter (sind Albrechts eigene Worte in der Urkunde) und unseren Vetter. In der andern Urkunde von 1302 heißt es, daß dies geschehen aus Ehrerbietung gegen die Jungfrau Maria und aus aufrichtiger Liebe gegen den Convent dieses Klosters, dessen Stifter, sagt Konrad von Vaihingen in der Urkunde, unsere Vorfahren gewesen. — Zwar nennt jede von beiden Urkunden nur einen Stifter, aber eben daraus geht hervor, daß beide gemeinschaftlich das Kloster stifteten. Die Herren von Weißenstein starben aus; und das Schirmrecht (jus advocatiae) über das Kloster kam an die Grafen von Vaihingen. Vielleicht hatten sie es aber auch von der Stiftung an. — Gräfin Mathilde von Vaihingen überließ es 1556 an den Grafen Eberhard von Würtemberg.

Etwas genauere Nachricht gewährt und aber eine Urkunde von 1268.3 Damals lebten auf Weißenstein zwei Brüder, Berthold und Belrem. Sie besaßen außer Weißenstein mit seiner nächsten Umgebung auch noch Huchenfeld, Liebeneck und Würm. Huchenfeld hatten sie als Lehen an mehrere überlassen, nämlich Konrad, genannt Colbe, Sohn des Ritters Albert Colbe, auf Schloß Vurstenecke (Fürsteneck) wohnend; Berthold, genannt Wiedener von Ingersheim; Liotwin von Glatebach; Sibotto von Hule; Albert von Helfenberg; Konrad und Sibotto von Schonowe (Schönau). Man wundere sich über eine solche Vielherrschaft in einem einzigen, nicht sehr großen Dorfe nicht; solche Vertheilungen waren in alter Zeit nichts seltenes. Kaufte ja Markgraf Christoph I. von Baden den achten Theil des Dorfes Söllingen (bei Durlach) an sich. Ueberdieß bestanden die Dörfer früher meist aus abgeschlossenen Hofgütern und waren also leichter zu trennen.

(Fortsetzung folgt.)


Die Kaiserlichen in Pforzheim.

Erzählung aus dem Jahre 1643.
6.

Fortsetzung.

Wir wollen das Entsetzen und den Jammer nicht schildern, denn diese Begebenheit bei den Bürgern besonders aber in des alten Tischingers Hause erzeugte. Lautlos im ersten Augenblicke, die Augen starr gen Himmel gerichtet, die Hände wie zum Gebete gefaltet, stand der unglückliche Greis da. Jetzt zum Erstenmale fühlte er die Last seiner Jahre. Sein noch rüstiger Geist hatte ihn dieselbe bisher wenig fühlen lassen, aber der unerwartete, schreckliche Verlust seines einzigen Sohnes drohte ihn zu erdrücken. Er konnte nicht wissen, welcher Tag ihm die Schreckensbotschaft von einem schaudervollen Tode seines Sohnes bringen werde.

Und Niemand war, der ihn trösten konnte. Doch der Schmerz war zu heftig, um lange anhalten zu können. Der Greis erholte sich wieder, und vielleicht sein langen Jahren wieder zum erstenmale drang eine Thräne der Wehmuth in sein Auge.

Eine Menge leidiger Tröster hatte sich gleich nach der schrecklichen Begebenheit bei dem alten Tichinger versammelt, und nach und nach versuchten alle ihre leidigen Trostworte an ihm. Zuletzt, als sie alle ihre Bemühungen vergeblich angewandt sahen, entfernten sie sich allmählig, theils verdrießlich, theils auch aus Schonung. Nur Einer blieb. Es war der Hochwächter Missel.

Er stand einige Augenblicke schweigend da, sein Auge fest auf den alten Tischinger geheftet, der, ein treues Bild des Kummers, die gefalteten Hände herabsinken lassend, das Haupt tief gebeugt, da saß. Endlich trat Missel zu ihm und ergriff seine Hand.

Da erhob der tiefbekümmerte Greis sein Haupt und aus seinem Schmerze, wie aus einem Träume erwachend, schaute er um sich. "Joachim, treuer, alter Freund, Joachim!" sprach mit lauter, aber bewegter, fast zitternder Stimme der Hochwächter. "Du hast recht, erwiederte der Greis sich erhebend, ich fühle deinen leisen Vorwurf, aber er ist verzeihlich. O mein Sohn, meine Hoffnung, meine Freude, jetzt meine Trauer und baldiges Ende!" Und aufs Neue ergriff die Wehmuth seine Seele.

"Freund sprach Missel, höre mich! Vertraue diesmal auch mir, wie ich dir schon so oft vertraute. Du standst mir bei, als vor 44 Jahren der böse Aldinger mich anklagte, den Markgrafen gelästert zu haben! Du standst mir bei mit Gefahr deines Lebens, als die Flamme mein Haus verzehrte, du standest mir bei —

"Ja du standest mir bei, unterbrach ihn Tischinger mit dem Feuer der Begeisterung, als bei Wimpfen der treue Karlinshofer zwischen uns beiden niedersank und eine andere Kugel mich zu Boden schlug; da trugst du mich hinweg. Mein Leben danke ich dir. Doch wozu das alles jetzt? O mein Sohn! mein Sohn!"

Aber Missel hatte die rechte Seite berührt. Fühlte auch der alte Tischinger noch allzusehr den wahrscheinlichen Verlust seines Sohnes — des alten Freundes Worte gaben ihm eine Stärke des Geistes, wie sie nach solchen Schlägen des Schicksals nur die Erinnerung edler Thaten geben kann. Tischinger war nun gefaßt genug, ihn anzuhören.

"Dein Sohn lebt jetzt noch und Rettung ist nicht unmöglich."

""Rettung aus den Händen des blutigen Tigers Erlisheim? das sind leere Hoffnungen,"" sprach fast mit Bitterkeit der alte Tischinger.

"Und doch, erwiederte gelassen der biedere Hochwächter, ist denn Erlisheim von Stein, oder kann sich nicht, bis er seine blutige Drohung ausführt, noch manches ändern? Wissen wir denn in jetziger Zeit überhaupt jeden Tag bestimmt, was der andere über uns bringen wird?

Tischinger schwieg einige Augenblicke. "Ja, vielleicht, sprach er dann schnell, mit dem Glanze der Hoffnung im Auge, vielleicht ist auch das starre Holz zu beugen."

Und alte Schuld zu vergelten, setzte Missel hinzu. Ein Entschluß war schnell in in seiner Seele gereift, er eilte, ihn auszuführen. — "Gott mit Euch, sprach er zu Tischinger, ihm die Hand reichend.

Meinen Dank ein andermal, jetzt nicht, antwortete mit bewegter Stimme Tischinger.

(Fortsetzung folgt.)


(Erklärung.) Das empfangene Manuscript reichte nicht zu zwei Nummern, die restirende Nummer wird nun wahrscheinlich im Laufe der nächsten Woche geliefert werden können.


Unter Verantwortlichkeit von G Lotthammer.
Drucker: K. F. Katz.

nächster Teil