Pforzheims’s Vorzeit.
Für Pforzheim und seine Umgebungen.

Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand;
Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor Allen dir gewogen! Wieland.

Nro. 23. Samstag den 6. Juni 1835.

Weißenstein.

(Fortsetzung.)

Die Urkunde ist folgende:

"Wir Carle von Gottes Gnaden Marggraue zu Baden ec. vnd Graue zu Spanheim Bekennen vnd dunt kund offenbar mit diesem Brief, als vnser lieber getruwer (getreuer) Dietherich von Gemmingen von vnsern Vordern (Vorfahren) selig Gedechtnuß auch vens vnd der Marggraueschafft Baden bißher gehapt vnd getragen hat vnd treit (trägt) ettlich Lehene, vnd vmb deß Merteil (für die meisten) sollich Lehene yegliches sundrer (besondere) Brieffe gegeben vnd gemacht sind, alßo ist der egenant (ebengenannte) Dietrich yetzund zu vns kommen, vnd hat vns gebeten im solliche Lehene in zwen Brieff setzen zu lassen vnd zu lyhen vnd die übrigen Brief abzuthun. Deß (deßwegen) hant wir uff solliche des vorgenannten Dietherichs Bite vnd vmb siner getreuwen willigen Dienst willen, auch nach Rat vnser Rete (Räthe) die die obgeschriben Lehene in zweu Brieff lassen setzen, vnd dem egenant Dietrich vnd sinen Erben zu einem rechten Erblehen geliehen vnd lyhen Im also in krafft diß Brieffs, zum ersten, daß Sloss Wissenstein mit allen sinen Herrlichkeiten, Freyheyten, Rechten, Nutzen, Gewanheyten (Gewohnheiten, herkömmlichen Nutznießungen) vnd Zugehörungen, vnd nemlich mit dem thal wyszenstein vnd den Höfen vnd Hüsern Dillstein vnd Falckengart und andern derselben Hönen (Höfen) vnd Hüsern, Lute (Leute, Leibeigene) vnd Gütern, Bet (Steuer) vnd dinst, frondienste, Wald, Wasser, Wonn vnd Weyd, Freuel (Holz ec. Frevel) Felle (Todfall ec.) vnd Bußen, auch mit allen andern derselb Höue vnd Hüsern Lute vnd Gut, Rechten, Gewanheyten vnd Zugehörungen, Item die Zehenden groß vnd clein, vff dem Rod vnd zue Buchelbrunn, ganz mit Ir zugehörd, Item die Mule zu wiszenstein mit Iren Nutzen vnd Rechten, Item den wald, genannt die Wasserhald, ganz mit sin zugehörde, item darneben die Mulhald, vnd von derselben Mulhalden die Zwerchhald vff vnd nebenhin biß an den Wald genannt das Hag vnd fürbaß (weiter) vff den Kreynecker Berg hinab, als daß bißher gen Wißenstein gehört, vnd ein teil gen Liebenzell gedient hat, alß das alles vnderzeychet (durch Merksteine bezeichnet) ist, vegeuerlich (ungefährlich, ohne Rückhalt). Item vnd den Zoll vff den Wassern, denselben Zoll Dietrich vnd sin vorgenannte Erben nemen sollent von hundert Zimmer Höltzer zehen Heller, von einem Narten Bank (Haufen Dielen, der auf ein Floß geladen wird) ein Pfennig, vnd von einem Segbloch einen Pfenning, on Geuerde. Vnd wir haben vns vnd vnsere Erben bedinget vnd vorbehalten Offnung an Wyszenstein dem Sloss, dasselb Sloß auch Dietrich vnd sin vorgenannt Erben vns vnd unsern Erben offen halten sollen, also daß zugleich Zyt wir vnd von unsere wegen die Vnsern die dessen vnsere offene versiegelte (mit einem Siegel zur Beglaubigung versehene) Brieff bringent sollich Offenung gebruchen (gebrauchen) mögten zu vnßern Notürfften vnd Geschefften gegen menglichen doch on (ohne) Dietrichs oder siner obegenannten Erben schaden Costenhalb ungeuerlich, Fürbasser (ferner) so lyhen wir demselben Dietrichen v. Gemmingen vnd sinen Erben zu rechtem Erblehen die Dörffere Büchelbrunn vnd Huchenfeldt*Auf welche Weise Huchenfeld an Baden kam, ist oben gesagt worden. auch mit allen Iren Herrlichkeyten, Freyheyten, Rechten, Nutzen, Gewanheyten vnd Zugehörungen, mit Leuten, Gütern, Gerichten, Beten, Zinsen, Dinsten, Frondinsten, walt, wasser, Wim vnd wayd, freuel, Well vnd Bußen nicht vßgenommen, auch so behalten wir vns vnd vnsern Erben die Wiltpenne die zue Wissenstein dem Sloss vnd den yetz genannten Dörffern gehören mögten, doch daß Dietrich vnd sinne Erben in denselben Wiltpennen vnd welden zu dem obgenannten Sloß Wissenstein vnd den egenannten Dörferen Büchelbrunn vnd Huchenfeld gehörig mögen hagen vnd jagen vegeuerlich. Wir wollen auch, daß dhein (keiner) vnser Amptmann Richtere oder Bürgr über des vorgedachten Diethrichs oder siner Erben Lut vnd Gut nit urteylen noch richten sollent von Gericht oder vngericht (d. h. auf irgend eine Weise eine Rechtssache entscheiden), sie haben dann mit Willen vor vnserm Gericht zu schaffen, vnd daß sie Gerichts vnd Rechts bedörffen vnd bitten sind on geuerde. Auch so wollen wir, wie vil der vorgenante Diethrich vnd alle sin Erben eygene Schwein die sie Jars in irem Hause zu irem Gebrauche erzogen vnd vngeuerlich (ungefähr) geen hand (gehen haben, d. h. halten), so ein eckere (Aeckerig) wird in vnsere Wälden, die sollen auch ledig vnd frey sin vnd vns dheinen (keinen) dehemen geben, vnd also hat der egenannt Dietrich sollich Lehen in obgeschrieben maß von vns empfangen mit Truwen gelopt vnd einen Eydt zu Gott vnd den Heiligen geschworen, vns vnd vnserer Marggreueschafft getreuw vnd hold zu sind (getreu und gehorsam zu seyn), vnsern Frommen (Vortheil) vnd Bestes altzyt zu werben (befördern), vnsern Schaden zu warnen, vnsere Recht mit andern vnsern Mannen (Lehenträgern) zu sprechen so dick (oft) wir das an Ine gesinnen von ihnen fordern, vnd alles das zu thuend, daß (wie) ein Mann (Lehensmann) sinem Herrn von sollich Lehen wegen durch Gewanheyt oder Recht schuldig vnd gebunden ist zu dund (thun) vnd in dieser Lyhung haben wir vßgenommen vnser Recht, vnser Mann vnd eins yeglichen Recht on alle geuerde, vnd dessen zu warem Urkunde hand Wir vnser Innsigel tun hanken an disen Brieff, der geben ist zu Baden vff dienstag nach vnseres Herren Fronlichnams Tag anno domini MCCCC°LIX° (1459).


Durch dies wird uns zwar deutlich, in welchem Verhältnisse die Lehensträger von Weißenstein zu ihren Lehensherren, den Markgrafen von Baden standen; aber über den Zustand des Lehens selbst, d. h. über die zu demselben außer dem Schloße noch gehörigen Güter, die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Gutsherren und der Unterthanen erhalten wir dadurch wenig Aufschluß. Es wird hier am geeignetsten Platze seyn, dies einzuschalten, so weit es noch bekannt ist, ehe wir die Familie von Gemmingen verlassen und zu den übrigen Besitzern übergehen.

A. Das Schloß und die beiden Dörfer.

Ueber die innere Beschaffenheit des Schlosses ist, so weit es sich nicht aus den noch vorhandenen Ruinen schließen läßt, nichts mehr bekannt. Der unterhalb des Schlosses gegen die Mühle zu gelegene, mit einer Mauer umfaßte Platz war der Burghof. An dem von dem Wege aus in denselben führenden Thore befand sich ein, jetzt völlig verwittertes Wappen. Im untern Stocke des Schlosses auf der nämlichen Seite war der, wie es scheint, ziemlich geräumige Banket- (Gesellschafts- und Speise-) Saal. Auf der andern Seite waren die Zimmer für die Dienerschaft, Küche ec. Die Vertheilung des noch übrigen Platzes bleibt der Phantasie eines Jeden überlassen.

Die Dörfer Dillstein und Weißenstein selbst waren in älteren Zeiten nicht so groß, als jetzt. Insbesondere Dillstein, welches jünger ist als Weißenstein, und wie aus der mitgetheilten Urkunde hervorzugehen scheint, nur ein Hof war. Noch ein ganzes Jahrhundert später, im Jahre 1585, zählte es nur fünfzehn Häuser und Hofstätten, und Weißenstein fünfunddreißig, während jetzt beide Orte zusammen 640 Einwohner zählen. Beide Orte zusammen bildeten schon in alter Zeit, wie noch heut zu Tage, nur eine Gemeinde. In jedem Orte war ein Schultheiß, der Oberschultheiß aber saß zu Weißenstein. Ihm war auch der Stab (die niedere Gerichtsbarkeit) von der Herrschaft übergeben. Besoldung bezog er nicht, war aber frei von Lieferung der Fastnachts- und Sommerhühner (von welchen nachher) und von Frohndiensten.

(Fortsetzung folgt.)

Grafik und handschriftliche Ergänzung Handschriftliche Ergänzung

Die Kaiserlichen in Pforzheim.

Erzählung aus dem Jahre 1643.
8.

Fortsetzung.

Darum treffe es diese auch zuerst! Sie müssen fort, erwiederte trocken der Guardian. Und deiner Kenntniß und Brauchbarkeit wegen, Anton, habe ich dich mir zur Unterstützung erwählt. Deßwegen habe ich dich rufen lassen. Es ist zu erwarten, daß sich hier und da einer dieser Füchse heimlich einzuschleichen sucht. Das sollst du zu verhüten suchen, wenn du einen ertappst, hast du mir sogleich es zu melden. Ich will dann die Füchse in ihren eigenen Schlupfwinkeln fangen, und soll sie Mühe und Scharfsinn vergebens kosten, um mir wieder zu entgehen.

"Ihr sollt mit mir zufrieden seyn," erwiederte mit widrigem Lächeln Pater Anton. Auf einen Wink der Guardians entfernte er sich.

Die Saat des Mönches begann bald Früchte zu tragen. Noch im Monat April mußten auf Befehl Erlisheims, welchen Ignazius dafür zu gewinnen gewußt hatte, alle evangelischen Geistlichen Pforzheim verlassen. Mit Wehmuth sahen die Bürger ihre treuen Seelsorger fortziehen, welche so oft in diesen bedrängten Zeiten ihnen den Kelch des Glaubens und Trostes gereicht hatten. Bereitwillig, als ob es das letzte Angebinde für ihre geliebten Lehrer seyn sollte, versahen die Bürger dieselben mit allem, was ihnen nützen konnte; denn die Geistlichen mußten alles, was sie selbst hatten, zurücklassen. Bis an die würtembergische Grenze begleiteten die Bürger ihre Seelsorger. Bei Birkenfeld schieden sie. Spezial Georg Wibel tröstete und stärkte sie noch mit einigen rührenden Worten zum Vertrauen auf die gütige Vorsehung.

9.

Der Lauf unserer Erzählung führt uns wieder in den Thurm auf dem Schlosse. In einem der untern Gemächer desselben, die zu Gefängnissen eingerichtet waren, saß ein Gefangener. Es war der junge Tischinger. Vor der einzigen Thüre seines Kerkers, die schwer von eichen Holz gemacht und reichlich mit eisernen Klammern und Bändern versehen war, gieng eine Schildwache auf und ab. Der breitkrempige Hut, das schwarze, bartige Gesicht, das mit einer Krause versehene am Halse schließende Wamms, die weiten mit einer Menge Nesteln versehenen Pluderhosen, und die Hellebarde ließen leicht in ihm einen Soldaten aus der hiesigen Garnison erkennen. Er gieng, die Hellebarde bequem über die Schultern gelegt, mit gravitätischer Mine auf und ab, hauptsächlich wenn jemand vorübergieng, und sang mit heller Stimme Kirchenlieder. Glaubte er sich aber unbemerkt, denn um den Gefangenen kümmerte er sich nicht — so ließen sich wohl auch durch die feierlichen Töne der Kirchenmelodien hindurch Anklänge an Lieder eines ganz andern Inhaltes vernehmen, die deutlich verriethen, daß ihm einst Gesang dieser Art geläufiger und willkommner gewesen war.

Ganz andere Gedanken erfüllten den Gefangenen innerhalb der Thüre. Mit übereinandergeschlagenen Armen saß er auf seinem Lager. Mit trübem Lächeln schaute er auf den Blumenstrauß, der in einem Glase auf dem Tischchen seines Gefängnisses stand. Ueberhaupt war im ganzen Zimmer das Walten einer freundlichen, liebenden Hand sichtbar. Das Lager war besser als gewöhnlich bei Gefangenen, besonders wo, wie hier, auch die härteste Behandlung keinen Verweis zu fürchten hatte. Das Zimmer war in reinlichem Zustande. Ein Tisch und einige Stühle, selten in einem damaligen Gefängnisse, waren in demselben. Mit Wehmuth betrachtete er alle diese kleinen Bequemlichkeiten. So wohl sie seinem Herzen thaten, denn Anna war’s, der er sie zu verdanken hatte, so vermochten sie ihn heute doch nicht zu erfreuen, wie es wohl schon in den vorhergehenden Tagen geschehen war. Sie erschienen ihm nur, wie die Sorgfalt, die man an des Menschen letztes Haus auf Erden, an den Sarg wendet, und der Blumenstrauß war ihm der Kranz, der ihm auf seine Bahre bestimmt war. Wie ließ sich auch ein anderer Gedanke in seiner Seele vermuthen? Jung, kräftig, lebensfroh, mit freundlichen Aussichten auf eine heitere Zukunft, so nur das düstere Gewölk am politischen Himmel sich einmal würde aufgelöst haben, so schnell aus dem Leben herausgerissen zu werden, in das er erst recht kräftig einzutreten im Begriffe war — konnte er da, gieng er gleich seinem Schicksale mit Standhaftigkeit entgegen, in einer andern, als düstern Stimmung seyn? Und die Entscheidung seines Schicksales war nicht mehr fern. Nicht ohne eine Spur von Mitgefühl hatte der wachhabende Soldat auf Befehl seines Obern ihn ermahnt, sich zum Ende vorzubereiten.

Der Gedanke an den nahen Tod erinnerte ihn erst recht lebendig an das, was er zurück ließ. Wie freundliche Bilder zogen alle seine Jugendbekannte und Freunde, vornämlich aber seines theuren Vaters Antlitz und Anna’s holdes Bild an seiner Seele vorüber, und schienen ihm mit trauernder Mine die Hand zum Abschied zu reichen. Und sein Herz begann weich zu werden, es schien ihm gar zu hart, so früh scheiden zu müssen. Aber neben dem Gefühle der Trauer keimte jetzt auch ein anderes auf, das des Unwillens, ja Grimmes gegen den Urheber seines Todes. Es wollte nicht recht ruhig werden in ihm, der Zwiespalt seines zwischen Wehmuth und Ingrimm getheilten Herzens wollte sich nicht lösen.

Da nahte sich ihm mit freundlichem, sein wallendes Herz kühlendem Flügelschlage die Religion, und er begann nach alter frommer Sitte unter den ihm wohlbekannten Kirchenliedern ein schnell gewähltes Lied zu singen. Anfangs schwankte die Stimme, denn die Ruhe des Gemüthes war noch zu ferne; aber allmählich erhob sie sich; sie wurde fester und reiner, und eine wundersame Ruhe, wie sie nur in einem unverkünstelten, wahrhaftgottesfürchtigem Herzen hervorgerufen zu werden vermag, erfüllte während dem er das einfache, kunstlose Lied sang, sein Herz. Das Lied heißt aber, wenige Veränderungen der alterthümlichen Sprache abgerechnet, so:

Früh ist mein Pilgerlauf zu End‘,
Ich hab‘ ihn kaum begonnen;
Der harte Tod naht sich behend,
Schon ist die Stund‘ verronnen.

Doch klage nicht, mein banges Herz,
So schwer’s auch immer falle!
Der Tod zieht ja nur himmelwärts
Aus diesem Erdenthale.

Drum meine Seele, schöpfe Muth
Und Stärk‘ aus deinem Glauben!
Der sagt dir ja: kein wahres Gut
Kann die Verwesung rauben!

Was an die Erde mich noch hält —
Sind es nur wahre Güter,
So find‘ ich sie in jener Welt,
Schön und verherrlicht wieder!

Nur eitler Tand wird Asch‘ und Staub,
Nur kaltes Gut zerstiebet;
Der Geist wird nie des Todes Raub,
Drum auch nicht was er liebet.

Sieht auch ein Vater mir ins Grab,
Fällt eine heiße Zähre
Auf seines Sohnes Leich‘ hinab —
Gott bleibe Lob und Ehre!

Scheint eine kurze Trennungszeit
Uns Trauer zu bereiten —
Wir find’n uns in der Ewigkeit,
Um nimmermehr zu scheiden.

Was klag‘ ich drum noch auf der Welt?
Was will ich da noch hoffen?
Wenn diese schwache Hülle fällt,
Ist mir der Himmel offen!

(Fortsetzung folgt.)


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